Regensburger Theologe Beinert wird 90 Jahre alt

Ein dem kritischen Geist verpflichteter Ratzinger-Schüler

"Ein ganz gewöhnliches Leben" sollten Wolfgang Beinerts Erinnerungen überschrieben sein. Am Ende lautete der Titel "Dem Ursprung Zukunft geben", denn auch mit 90 blickt der Regensburger Dogmatiker immer nach vorn.

Autor/in:
Barbara Just
Wolfgang Beinert, Theologe, emeritierter Professor und Publizist, in Pentling am 20. Januar 2023. / © Barbara Just (KNA)
Wolfgang Beinert, Theologe, emeritierter Professor und Publizist, in Pentling am 20. Januar 2023. / © Barbara Just ( KNA )

Am Anfang war Wolfgang Beinert zögerlich. "Wer soll denn das lesen?", fragte er sich. Erinnerungen eines katholischen Theologen, der "nie in der ersten Liga" gespielt habe? Am Ende kamen 616 Seiten heraus - und die sind spannend wie ein Krimi.

Der frühere Regensburger Dogmatikprofessor wurde am 4. März 90 Jahre alt und hat viel zu erzählen. Von einer Kindheit in Breslau, von Flucht und Neuanfang in Franken, von seinen Studienzeiten in Rom, von seiner Habilitation bei Joseph Ratzinger. Vor allem gewährt er einen Insiderblick in die Entwicklung der Kirche bis heute und das Verhalten ihrer klerikalen Protagonisten.

Rom als Glücksfall

Als sich Beinert 1952 nach dem Abitur entschied, ins Bamberger Priesterseminar einzutreten, wollte er den Menschen die "wunderbare Botschaft von der Freiheit Gottes" verkündigen und dafür lernen, gut zu predigen.

Unter den theologischen Disziplinen tat es ihm die Dogmatik ganz besonders an: "Ich musste den Glauben systematisch kennenlernen, alle Seiten, Nebenwege und Umleitungen. Nur dann kann man sagen, was Sache ist." Seine Noten waren gut, also entsandte ihn sein Bamberger Erzbischof 1952 ans Collegium Germanicum in Rom.

Blick über die Dächer von Rom / © PHOTOCREO Michal Bednarek (shutterstock)
Blick über die Dächer von Rom / © PHOTOCREO Michal Bednarek ( shutterstock )

"Rom war ein Glücksfall für meine Biografie", sagt Beinert. So habe er an der jesuitisch geprägten Einrichtung sein Rüstzeug zum selbstständigen Denken bekommen. 1959 empfing er in der Ewigen Stadt die Priesterweihe.

Auf den Glanz des Tages legte sich aber ein Schatten. Denn während Vater und Bruder mit ihm das Festmahl im Kolleg einnehmen durften, blieb der von den Klerikern "hochgelobten Priestermutter" der Eintritt verwehrt, wie Beinert notiert. Ein Jahr später sei die Regel aufgehoben worden: "Unsere Traurigkeit über die seelische Grausamkeit an der Mutter hat das nicht behoben."

Bei Joseph Ratzinger habilitiert

Es sind Anmerkungen wie diese, in denen Beinerts kritischer Geist aufblitzt. Auch gegenüber Joseph Ratzinger, bei dem er sich habilitierte, hielt sich der Schüler nicht zurück. Dass die katholische Kirche über kurz oder lang in eine gewaltige Krise hineinschlittern musste, sei ihm im Laufe der Zeit klar geworden, sagt der Theologe, der von 1978 bis 1998 an der Universität Regensburg Dogmatik lehrte. "Allenfalls kann man überrascht sein über die Quantität des Bösen und an welchen Orten man es überall findet."

Kardinal Joseph Ratzinger während des 85. Deutschen Katholikentages vom 13. bis zum 17. September 1978 in Freiburg (KNA)
Kardinal Joseph Ratzinger während des 85. Deutschen Katholikentages vom 13. bis zum 17. September 1978 in Freiburg / ( KNA )

Kein Blatt nimmt er auch vor den Mund, wenn es um den Zölibat geht. Ein entschiedenes "Ja" kommt dazu, wenn es um seine Person geht.

Ansonsten wirft er der Kirche vor, aufgrund ihrer Unbeweglichkeit den Priestermangel mitverschuldet zu haben. Auch heute gebe es hinreichend Berufungen, aber eben nicht zur Ehelosigkeit. "Mir sind eine Reihe von jungen Leuten bekannt, die es zur Seelsorge drängt, aber auch zu einer lebenslangen Partnerschaft", schreibt Beinert in seinem Buch.

Hoffnungen ruhten auf dem Konzil

Dabei war die Hoffnung auf Änderungen so groß, als Johannes XXIII. ein Konzil ankündigte. Beinert kann sich noch genau an den 25. Januar 1959 erinnern. Es war ein Sonntag, mit Studienkollegen saß er zusammen, als ein Kommilitone plötzlich die unglaubliche Nachricht überbrachte.

Männersache: Zweites Vatikanisches Konzil (KNA)
Männersache: Zweites Vatikanisches Konzil / ( KNA )

Sie hätten sich gefragt, was wolle dieser Papst denn, es sei doch alles in Ordnung in der Kirche. In Wirklichkeit habe seit dem Tod von Pius XII. 1958 nur eine Friedhofsruhe geherrscht, analysiert der Theologe. Die Euphorie beim Konzil (1962-1965) und in der Heimat sei bei Bischöfen und Laien groß gewesen.

Die Pfingststimmung war bald Geschichte. Grund: Die folgende Ehe- und Familienpastoral mit dem Verbot der Pille - das Gegenteil von dem, was das Konzil gewollt habe, sagt Beinert. Paul VI. sei zwar ein scharfsinnig denkender Mann gewesen, habe aber vor der eigenen Courage Angst gehabt.

Angst vor Veränderungen

Diese Angst vor Veränderungen sei es auch, die auch die weiteren Päpste seither bei ihren Entscheidungen begleite.

Der Theologe verweist zum Kontrast auf eine Episode im Matthäus-Evangelium: Petrus steigt aus dem Boot und geht dem Herrn übers Wasser entgegen. Als der Apostel den Blick nicht mehr auf Jesus richtet, sondern auf seine Füße, versinkt er. "Jesus nennt ihn einen Kleingläubigen - das härteste aus seinem Munde überlieferte Schimpfwort", erklärt Beinert.

Sein Fazit: In Nöten könne nur bestehen, wer auf den Herrn schaue und nach vorne gehe. Ansonsten sollte man im Boot bleiben oder gar nicht erst einsteigen. Wer weitere Bibelauslegungen von Beinert hören will, dem seien seine Sonntagsmeditationen auf YouTube empfohlen.

Quelle:
KNA