War Jesus ein Straßenfußballer?

"Staubig werden, rausgehen, Gott entdecken"

Jesus hat permanent auswärts gespielt und anderen Heimvorteil gewährt. Der Ansicht ist der Sportbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Thorsten Latzel. Er fiebert bei der Europameisterschaft mit.

Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Sportbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). / © EKiR/Dominik Asbach (DBK)
Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Sportbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). / © EKiR/Dominik Asbach ( DBK )

DOMRADIO.DE: Jesus war ein Wanderprediger. Das heißt, wenn er den Pharisäern die Leviten las, war das alles andere als ein Heimspiel für ihn, oder? 

Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland / © Harald Oppitz (KNA)
Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland / © Harald Oppitz ( KNA )

Präses Dr. Thorsten Latzel (Sportbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland): Ja, genau. Jesus war jemand, der permanent draußen war. Das finde ich beeindruckend. In der Fußballsprache trifft das Wort Straßenkicker für mich am besten zu. Jemand, der mit allen spielte, trainierte, die er draußen traf, hemmungslos war, mit Zöllnern, Huren, Aussätzigen. Das spielte alles keine Rolle für ihn. 

Ich glaube, das ist etwas, was wir von Jesus lernen können. Diese Spielfreude, diesen Mut, rauszugehen, draußen zu sein. Ich glaube, das brauchen wir viel mehr. Diesen Mut, über eigene Grenzen zu gehen.

DOMRADIO.DE: Andererseits hat er den Menschen ständig Heimvorteile gewährt. 

Latzel: Genau, Heimvorteil ist ein schöner Begriff. Eine Mannschaft spielt tatsächlich meist besser, wenn sie zu Hause ist. Der große Vorteil von unserer deutschen Mannschaft im Augenblick ist, dass sie mit den Fans im Rücken spielen kann. 

Bei Jesus war es genau so, dass er anderen Leuten die Würde gegeben hat, Gastgeber zu sein. Zachäus ist ein schönes Beispiel. Er bleibt unter dem Baum stehen. Dieser einsame Mensch da oben, der Zöllner, den keiner so richtig mag, der kleine Mann, und sagt, ich muss heute in deinem Hause einkehren. Diese Würde zu geben, ist etwas Besonderes. 

Thorsten Latzel

"Er hat sich in den Bereich begeben, wo der andere oder die andere sicher war. Er blieb nicht nur in seiner eigenen Blase, der eigenen Bubble."

Wir sind manchmal eher so drauf, dass wir niemand anderem etwas schuldig bleiben wollen. Aber Jesus hat das anders gelebt. Er hat dem Gegenüber Sicherheit und Würde gegeben. Er hat sich in den Bereich begeben, wo der andere oder die andere sicher war. Er blieb nicht nur in seiner eigenen Blase, der eigenen Bubble.

DOMRADIO.DE: Ich versuche in Ihrer Logik zu bleiben. Die Jünger, die sich von Jesus anstecken und begeistern lassen, sind die Fußballfans?

Latzel: Das sind zumindest Leute, die sich von diesem Spieler, von diesem Straßenkicker haben mitreißen lassen. Sie sind Teil des Teams, würde ich sagen. Sie sind nicht nur Fans, sondern Mitspieler. Das ist das Besondere, dass Jesus Leute ins Spiel hineinholt. 

Thorsten Latzel

"Im Sport geht es um Training für den Körper, im Glauben geht es um Training für die Seele. Es geht um eine Haltungsfrage."

Ich glaube, dass wir in der Religion und im Glauben einiges vom Sport lernen können. Das ist ein interessanter Austauschpartner. Im Sport geht es um Training für den Körper, im Glauben geht es um Training für die Seele. Es geht um eine Haltungsfrage. Es geht auch darum, dass man sich einsetzt, dass man sich von dem, was einem wichtig ist, auch bestimmen lässt und das ins Zentrum rückt, wie bei einem Sportler. 

Der muss auf viele Sachen verzichten, damit er ein guter Sportler, eine gute Sportlerin ist. Genauso ist das im Glauben auch. Wenn ich sage, das ist mir wichtig, dann prägt das mein Leben, dann reißt mich das mit. Und so ist das bei den Jüngeren auch, dass sie sagen, sie lassen sich darauf ein, sie trainieren mit, sie reisen mit Jesus durch das ganze Land. 

DOMRADIO.DE: Es wäre doch schön, wenn auch diese Parallelen wieder sichtbar würden, wenn die Kirche wieder mal Stadien füllt, oder? 

Thorsten Latzel

"Wir sollten eher staubig werden, rausgehen, Gott entdecken bei den Menschen. Das ist, glaube ich, dass, was unsere Aufgabe ist, dass die Menschen spüren, wir sind da, wir reden mit ihnen."

Latzel: Vielleicht ist es Aufgabe von uns, dass wir als Kirche eher in die Stadien reingehen, dass wir uns auf die Straße begeben. Es ist nicht nur die Frage, dass alle Leute zu uns in die Kirche kommen sollen. Das wäre genau die Logik wieder, wir bleiben in unserem sicheren Bereich. Wir sollten eher staubig werden, rausgehen, Gott entdecken bei den Menschen. Das ist, glaube ich, dass, was unsere Aufgabe ist, dass die Menschen spüren, wir sind da, wir reden mit ihnen. Wir bringen nicht Gott zu den Menschen, sondern entdecken ihn dort bei den Menschen. Das ist genau das, was Jesus gemacht hat.

DOMRADIO.DE: Ihre persönliche Meinung als Sportbeauftragter zum Begeisterungsfaktor der deutschen Nationalmannschaft. Hat es Ihnen bislang gefallen? 

Latzel:  Wow, das ist mega! Ich durfte selbst im Stadion sein und es ist mitreißend zu erleben und sehr schön zu sehen, gerade das Spiel gegen Schottland. Die schottischen Fans waren eine tolle Mannschaft, haben tolle Anhänger, die nicht gesagt habe, "No Scotland, no party", sondern sie feiern mit. Das war richtig schön zu sehen. Es war ein wunderschönes Spiel. Ich bin immer noch heiser vom Wochenende. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie heute die Möglichkeit, das Spiel zu schauen? 

Latzel: Ja, heute werde ich es zu Hause schauen mit meiner Frau. Die ist auch ein großer Fußballfan, und ich freue mich schon richtig drauf. 

Das Interview führte Tobias Fricke. 

Quelle:
DR