Missio-Referentin bestürzt über Leiden in Myanmar

"Keine Geschäfte mehr mit der Militärjunta“

Im Bürgerkriegsland Myanmar gibt es aktuell drei Millionen Binnenflüchtlinge. Bettina Tiburzy von missio hat mit geflüchteten Kirchenleuten und Kämpfern für Demokratie gesprochen, viel Elend gesehen, aber auch Hoffnung erlebt.

Mit einer Ordensschwester in einem IDP-Camp im Norden Myanmars / © Hartmut Schwarzbach (missio)
Mit einer Ordensschwester in einem IDP-Camp im Norden Myanmars / © Hartmut Schwarzbach ( )

DOMRADIO.DE: Sie waren gerade in Myanmar unterwegs. Mit welchem Eindruck sind Sie zurückgekommen? 

Bettina Tiburzy (Referentin beim katholischen Hilfswerk missio): Ich hatte Myanmar im Jahr 2016 schon einmal mit einer Touristengruppe besucht; es ist ein wunderschönes Land mit toller Natur und toller Kultur. Jetzt habe ich das Land nicht wiedererkannt. 

Touristen können dort im Moment gar nicht hinfahren. Es ist wirklich sehr traurig. Die vielen jungen Leute, die ich damals als so hoffnungsfroh erlebt habe, machen jetzt einen verzweifelten Eindruck. Ich wünsche sehr, dass es wieder Frieden gibt und auch wieder Leute ins Land kommen. 

Hartmut Schwarzbach (links) und Bettina Tiburzy (rechts) zusammen mir dem Bischof von Bischof von Loikaw, Celso Ba Shwe (Mitte) / © Hartmut Schwarzbach (missio)
Hartmut Schwarzbach (links) und Bettina Tiburzy (rechts) zusammen mir dem Bischof von Bischof von Loikaw, Celso Ba Shwe (Mitte) / © Hartmut Schwarzbach ( )

DOMRADIO.DE: Seit dem Militärputsch von 2021 herrscht Bürgerkrieg in Myanmar. Wer kämpft da gegen wen, was sind die großen Konfliktlinien? 

Tiburzy: Myanmar ist ein Vielvölkerstaat mit mehr als 130 verschiedenen ethnischen Gruppen. Die größte sind die Burmesen mit ca. 70 Prozent. Es gibt aber auch verschiedene ethnische Minoritäten, wie zum Beispiel die Kachin, die Chin, die Shan und die Karenni. 

Die eine große Konfliktlinie ist, dass diese ethnischen Gruppen quasi schon seit der Entstehung Myanmars, also schon seit mehr als 70 Jahren, für Autonomie kämpfen; sie wollen mehr Freiheiten und auch eine föderale Struktur.

Es gab dann in den letzten Jahren im Land eine fortschreitende Demokratisierung, bis im Jahr 2021 das Militär geputscht und sich sofort Widerstand gegen die Junta formiert hat. Viele junge Leute haben sich in demokratischen Gruppen organisiert, um so als Zivilgesellschaft Widerstand zu leisten. 

Andere haben sich zur so genannten People’s Defence Army zusammengeschlossen und mit den ethnischen Gruppen zusammengetan. So gibt es seit Ende letzten Jahres auch eine koordiniertere militärische Offensive. Ihr gemeinsames Ziel ist das Ende dieser Militärjunta in Myanmar. 

DOMRADIO.DE: Wie war es überhaupt möglich, sich als Referentin eines katholischen Hilfswerks im Land zu bewegen? 

Tiburzy: Ich war mit einem Fotografen unterwegs und wir sind nicht offiziell als missio-Mitarbeiter eingereist, sondern mit Touristenvisa. Die Regierung versucht, die Bewegungsfreiheit aller zu kontrollieren. Ausländer dürfen zum Beispiel nur in Hotels übernachten und müssen an jeder Station innerhalb des Landes sie angeben, wo genau sie übernachten. Die Junta unterhält einen großen Überwachungsapparat.

Mit Ordensschwestern, die aus umkämpften Gebieten fliehen mussten, auf dem Inle-See. Einst war der See ein beliebtes touristisches Ziel. Heute kommen aus dem Ausland kaum noch Touristen nach Myanmar / © Hartmut Schwarzbach (missio)
Mit Ordensschwestern, die aus umkämpften Gebieten fliehen mussten, auf dem Inle-See. Einst war der See ein beliebtes touristisches Ziel. Heute kommen aus dem Ausland kaum noch Touristen nach Myanmar / © Hartmut Schwarzbach ( )

Nichtsdestotrotz konnten wir uns relativ gut uns bewegen an den Orten, die für uns zugänglich waren. Wir konnten nicht in alle möglichen Regionen reisen, das ist auch für die Leute in Myanmar nicht einfach. Wir haben zum Beispiel versucht, die Militär-Checkpoints zu umgehen, die es auf vielen Straßen gibt.

Wenn wir mit Projektpartnern auch außerhalb eines Geländes Fotos machen wollten, sind wir an touristische Orte gegangen, wo alle fotografieren. Außerdem konnten wir einige Camps besuchen, in denen Binnenflüchtlinge untergekommen sind. Das war uns sehr wichtig, denn es gibt so viele Flüchtlinge im Land. 

DOMRADIO.DE: In Myanmar sind gerade etwa drei Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Unter welchen Umständen leben sie in den Flüchtlingslagern? 

Tiburzy: Wir haben Leute getroffen, die gerade erst in den Lagern angekommen waren, noch traumatisiert von ihrer Flucht. Im Unterschied zu den Widerstandsgruppen verfügt die Militärjunta über Flugzeuge und bombardiert immer wieder Dörfer aus der Luft. Sie greifen dabei auch ganz gezielt Schulen und Krankenstationen an, als Vergeltung für den Druck aus der Zivilgesellschaft. 

In Myanmar sind 3 Millionen Menschen geflohen. An manchen Orten werden Geflüchtete auch von Ordensschwester betreut. Die Menschen sind hier auf einem kirchlichen Compound untergekommen / © Hartmut Schwarzbach (missio)
In Myanmar sind 3 Millionen Menschen geflohen. An manchen Orten werden Geflüchtete auch von Ordensschwester betreut. Die Menschen sind hier auf einem kirchlichen Compound untergekommen / © Hartmut Schwarzbach ( )

Von den etwa drei Millionen Binnenflüchtlingen leben mittlerweile viele in ganz unterschiedlichen Camps. Manche leben in Baracken, manche in leerstehenden Gebäuden oder in kirchlichen Einrichtungen. Auch in buddhistischen und christlichen Klöstern sind Leute untergekommen. 

Manche sind schon seit 15 Jahren auf der Flucht und mussten von Lager zu Lager umziehen. Wir haben auch mit Leuten gesprochen, die sich im Dschungel verstecken oder in bisher weniger betroffenen Dörfer, bis dort auch wieder Konflikte ausbrechen. 

DOMRADIO.DE: Christen machen nur etwa sechs Prozent der überwiegend buddhistischen Bevölkerung Myanmars aus. Welche Rolle spielen die christlichen Kirchen bei der Betreuung Geflüchteter?  

Tiburzy: Viele Mitglieder der betroffenen ethnischen Gruppen sind Christen. Zum Beispiel die Kachin und die Karenni, von denen wir viele getroffen haben, sind mehrheitlich Christen. Das heißt auch, dass aus Gebieten wie zum Beispiel der katholischen Diözese Loikaw eigentlich alle fliehen mussten, natürlich auch die kirchlichen Mitarbeiter. 

Der Bischof von Loikaw Celso Ba Shwe ist heute selbst Flüchtling. Er betreut seine Gemeinden, indem er von einem Camp zum nächsten reist und auf diese Weise bei den Leuten ist. Auch mit Hilfe von missio versucht er, Unterstützung zu organisieren. Denn die Menschen brauchen Lebensmittel, Wasser und medizinische Versorgung. 

Tiburzy

"Eine Gruppe von Ordensschwestern ist mit einem ganzen Kinderheim geflohen."

Vor Ort gibt es keine Hilfsstrukturen wie sie der UNHCR anderswo unterhält, sondern es muss alles selbst organisiert werden, auch informelle Schulbildung für die Kinder. Den Bischof von Loikaw habe ich also außerhalb seines Bistums getroffen und mir von seinem aktuellen Leben erzählen lassen. 

Eine Gruppe von Ordensschwestern wiederum ist mit einem ganzen Kinderheim geflohen. Sie waren mit den Kindern in einem LKW unterwegs und mussten aus nächster Nähe mit ansehen, wie Bomben auf die Häuser fielen und explodierten. Die Leute haben uns von wirklich sehr dramatischen Szenen berichtet und hatten dabei immer wieder Tränen in den Augen.

Wir waren auch in einer Stadt im Norden, in Myitkyina, der Hauptstadt des Staates Kachin, wo es im Moment große Flüchtlingsbewegungen gibt. Viele suchen Zuflucht in der Stadt. Denn in der Region ist die Armee der Kachin auf dem Vormarsch und hat Militärposten der Junta verdrängen können. 

Wir konnten zunächst nicht von dort zurückfliegen, weil die Widerstandsarmee in der Nähe einen Militär-Flughafen angegriffen hatte, um zu verhindern, dass von dort wieder Flugzeuge starten und Dörfer bombardieren.

Diese ethnischen Widerstandskämpfer, die Mitglieder der People‘s Defence Army und überhaupt viele junge Leute sind sehr motiviert und überzeugt davon, dass sie diesen Kampf gewinnen. Auf Seiten der Militärjunta hat man den Eindruck, dass deren Soldaten überhaupt nicht motiviert sind und vielleicht auch an ihrer Führung zweifeln. Es ist wirklich eine schwierige Situation. 

DOMRADIO.DE: Was hat Sie besonders erschüttert? 

Tiburzy: Besonders erschüttert haben mich die vielen jungen Leuten, die verzweifelt sind über das neue Wehrpflicht-Gesetz. Denn das Gesetz besagt, dass alle Männer von 18 bis 35 und alle Frauen von 18 bis 27 Jahren jederzeit zum Armeedienst eingezogen werden können. 

Sie überlegen jetzt, wie sie das Land verlassen, wie sie dem Zwangseinsatz entgehen können. Einige haben mich um Rat gefragt. Und ich wusste leider auch nicht, was ich ihnen sagen sollte. Es ist einfach eine fürchterliche Situation. 

DOMRADIO: Was fanden Sie auf der anderen Seite besonders beeindruckend? 

Tiburzy: Sehr beeindruckend fand ich die Schwestern vom Guten Hirten in Mandalay. Sie bieten 50 jungen Frauen eine Ausbildung. Die Mädchen können sich zur Näherin ausbilden lassen, zur Mitarbeiterin im Beauty Salon oder auch Computerkurse belegen. Sie lernen also wirklich etwas ganz Praktisches. 

Als das neue Gesetz zur Wehrpflicht kam, haben einige von ihnen gemeinsam mit den Schwestern und Eltern beschlossen, dass sie besser in ihre Heimatdörfer zurückkehren, auf die die Armee keinen Zugriff hat. Die Schwestern haben diese gefährliche Rückkehr an Militärkontrollen vorbei erfolgreich organisiert.

Treffen von katholischer Ordensfrau mit buddhistischen Nonnen. Die Große Mehrheit in Myanmar gehört zu den Buddhisten. Sechs Prozent der Menschen sind Christen / © Hartmut Schwarzbach (missio)
Treffen von katholischer Ordensfrau mit buddhistischen Nonnen. Die Große Mehrheit in Myanmar gehört zu den Buddhisten. Sechs Prozent der Menschen sind Christen / © Hartmut Schwarzbach ( )

Jetzt überlegen die Ordensfrauen, wie sie diesen Mädchen auch in deren abgelegenen Heimatregionen weiter die Ausbildung zukommen lassen können. Sie wollen dort hinfahren und die Workshops an verschiedenen Orten abhalten. 

Das fand ich sehr beeindruckend, wie die Leute mitten im Chaos und dieser so schweren Situation trotzdem versuchen, Zukunft zu gestalten. Sie tun, was sie können und soweit sie es können. Wir von missio versuchen, sie dabei zu unterstützen. 

DOMRADIO.DE: Was ist Ihre Forderung an die Staatengemeinschaft? Was sollte sie mit Blick auf Myanmar tun?

Tiburzy: Die internationale Gemeinschaft darf nicht wegschauen. Es gibt so viele Kriege im Moment, dass Myanmar in den Medien kaum eine Rolle spielt. Mir hat eine Schwester vor Ort gesagt: ‚Ich will, dass die Welt erfährt, was hier in Myanmar passiert. Alle sollen über unsere Situation Bescheid wissen!‘  Wir sollten also solidarisch sein und nicht weggucken. 

Die internationale Gemeinschaft sollte humanitäre Hilfe leisten, die Demokratiebewegungen unterstützen und vor allem keine Geschäfte mit dieser Militärjunta machen. Und natürlich ist es wichtig, viel über die Situation der Menschen in Myanmar zu reden. So wie wir es gerade tun.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR