Misereor sieht am Erdüberlastungstag globale Ungleichheit

8 Tonnen CO2 in Deutschland, 30 Kilo im Kongo

Mit dem Erdüberlastungstag haben wir so viele Ressourcen verbraucht, wie die Welt nachproduzieren kann. Ab heute leben wir auf ökologischem Pump. Deutschland verbraucht dabei 266 mal mehr CO2 als der Kongo, erklärt Madeleine Wörner.

CO2-Emissionen befeuern den Klimawandel / © Roschetzky Photography (shutterstock)
CO2-Emissionen befeuern den Klimawandel / © Roschetzky Photography ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ressourcen, das ist immer so ein großes Wort. Wovon sprechen wir genau?

Madeleine Wörner (Expertin für erneuerbare Energien und Energiepolitik bei Misereor): Der Erdübelastungstag bringt die Ressourcen in einen Zusammenhang mit der sogenannten Biokapazität. Das sind Flächen wie Wald, Ackerland, Kulturflächen oder Ähnliches. Wenn wir uns diese Biokapazität anschauen, müssen wir natürlich auch den Menschen ins Spiel bringen. Dann sehen wir uns die Ressourcen des täglichen Lebens an, die auf Flächen wie Wald-, Ackerland, Kulturflächen und so weiter entstehen und zur Deckung von Grundbedürfnissen gebraucht werden. Ressourcen wie Wasser, Nahrungsmittel oder auch Energie, Baustoffe, Treibstoffe. Die sind allerdings auch dafür verantwortlich, dass wir die planetaren Grenzen reißen.

DOMRADIO.DE: Gerade die reichen Industriestaaten verbrauchen überproportional viele Ressourcen. Was hat das für Folgen?

Madeleine Wörner

"Wir sehen Symptome des Überkonsums auch hier in Deutschland: Übergewichtige Menschen, Menschen mit Suchterkrankungen, Symptome wie überdimensionaler Stress und Belastungsstörungen nehmen zu."

Wörner: Die Diagnose, die aus dem Erdüberlastungstag hervorgeht, ist, dass die Erde aus dem Gleichgewicht gekommen ist. Das sehen wir auf der sozialen und der planetaren Ebene. Wir sehen unglaublich viele armgemachte Menschen, wir sehen Problemexternalisierungen, dass die Verantwortung für Ressourcen- und Rohstoffbeschaffung einfach ausgelagert wird.

Wir sehen Symptome des Überkonsums auch hier in Deutschland: Übergewichtige Menschen, Menschen mit Suchterkrankungen, Symptome wie überdimensionaler Stress und Belastungsstörungen nehmen zu. Wir sehen den Extraktivismus, der noch aus kolonialen Strukturen stammt. Dabei geht es um den Abbau von Rohstoffen, um sie auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Diese Form der Beschaffung von Energie und Rohstoffen sehen wir aktuell auch als Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine.

Planetar hat das andere Folgen: extreme Dürren, Extremwetterereignisse, Hitze, Überflutungen, Artensterben, Veränderung natürlicher Zyklen und all das. Diese Probleme kommen zusammen und stellen dieses Ungleichgewicht und die Folgen dieser überproportional großen Ressourcennutzung dar.

DOMRADIO.DE: Viele Menschen in Deutschland denken, dass wir mit am meisten für den Klimaschutz tun. Deutschlands Überlastungstag war aber schon im Mai. Dafür gibt es eigene Berechnungen. Misereor fordert schon direkt von die Bundesregierung, dass die Ressourcen effektiver gespart werden. Wie stellen Sie sich das konkret vor? Und warum ist es dann gerade in Deutschland so besonders wichtig? Sind wir die Übeltäter?

Madeleine Wörner

"In Deutschland verbrauchen wir jährlich durchschnittlich acht Tonnen CO2 pro Person, in der demokratischen Republik Kongo sind es 0,03."

Wörner: In Deutschland verbrauchen wir jährlich durchschnittlich acht Tonnen CO2 pro Person, in der demokratischen Republik Kongo sind es 0,03. Das ist ein unglaubliches Ungleichgewicht. Man sieht also, dass da viel zu tun ist. Man kann aber auch viel tun. Studien sagen, dass wir mit unserem Klimaschutz in Deutschland etwa acht Jahre schneller zur Klimaneutralität kommen könnten, wenn wir Suffizienz umsetzen, also Ressourcen sparen.

Konkrete Maßnahmen wären beispielsweise Veränderungen des Steuersystems, finanzielle Anreize für genügsame Leben. Es geht um veränderte Rahmenbedingungen und Infrastrukturen. Und diese Veränderungen stehen an erster Stelle, wenn man etwas gegen die Folgen der Ressourcenverschwendung tun will.

Ein anderer Punkt ist eine gerechte Kreislaufführung unserer Ressourcen. Da sind wir dann bei dieser Challenge angekommen, was jeder Einzelne tun kann.

DOMRADIO.DE: Man kann also nicht auf die einzelnen Bürgerinnen und Bürger setzen, die Politik ist auch gefragt.

Madeleine Wörner

"Man hat immer einen systemischen Anteil drin. Den zu reduzieren liegt in der Verantwortung der Politik."

Wörner: Es ist unglaublich schwer, heutzutage suffizient zu leben. Man hat immer einen systemischen Anteil drin. Den zu reduzieren liegt in der Verantwortung der Politik. Und für wen das alles noch zu langsam ist, für diejenigen, die selber auch was tun wollen, für die gibt es jetzt noch Mitmachangebote, wie die Misereor-Suffizienzaktion "Genug für alle! Genug für mich?".

DOMRADIO.DE: Und was steckt dahinter?

Wörner: "Genug für alle! Genug für mich?" ist ein Mitmachangebot um aktiv zu werden für ein Klimagerechtes und gutes Leben in Deutschland. Da gibt es an 14 Tagen verschiedene Maßnahmen, an denen die Hebel der Suffizienz vorgestellt werden, wie beispielsweise Labeling. Man schaut sich mal die Umweltlabel an, man reflektiert den eigenen Konsum. Man geht auch in die Politik und übt, wie man die Politik anspricht und sie involviert, wenn die Strukturen für eine ressourcenschonende Welt noch nicht vorhanden sind. Man kann sich bei uns auf der Internetseite www.misereor.de genauer informieren.

Das Interview führte Michelle Olion.

EU-Parlament einigt sich auf schärferen CO2-Emissionshandel

Das Europaparlament hat sich nach monatelangen Diskussionen auf Vorschläge für einen strengeren Klimaschutz geeinigt. Unter anderem soll die kostenlose Vergabe von Zertifikaten für CO2-Emissionen ab 2027 nach und nach auslaufen, und dann ab 2032 ganz entfallen. Auch soll der Emissionshandel nach der Einigung vom Mittwoch auf Gebäude und den Verkehr ausgeweitet werden - zunächst aber nur bei gewerblicher Nutzung. Beim Emissionshandel (ETS) müssen bestimmte Industrien für den Ausstoß klimaschädlicher Gase wie CO2 bezahlen.

CO2-Ausstoß in der Stahlindustrie / © Jeff Roberson (dpa)
CO2-Ausstoß in der Stahlindustrie / © Jeff Roberson ( dpa )
Quelle:
DR