Leipziger Propst analysiert Zustimmungswerte für die AfD

"In den letzten Tagen waren die Einschläge für die AfD deutlich"

Vor der Europawahl machen sich viele Sorgen um die Demokratie. In ganz Europa zeichnet sich ein Rechtsruck ab. In den ostdeutschen Bundesländern sind zudem bald auch Landtagswahlen. Propst Giele beschreibt die Stimmung in Leipzig.

Symbolbild Europawahl  / © New Africa (shutterstock)

DOMRADIO.DE: In Sachsen liegt die AfD aktuell in Umfragen bei knapp über 30 Prozent. Wie sehr besorgt Sie diese Situation persönlich? 

Pfarrer Gregor Giele: Propst der Trinitatiskirche und Dekan von Leipzig   / © Gregor Giele (privat)
Pfarrer Gregor Giele: Propst der Trinitatiskirche und Dekan von Leipzig / © Gregor Giele ( privat )

Gregor Giele (Propst der katholischen Pfarrei Sankt Trinitatis in Leipzig) Es bekommt jetzt statistisch eine Zahlengrundlage, was im Alltag immer mehr erlebbar wird. Die AfD bedient den Wutfaktor, der momentan viele Menschen erfasst. Und da merkt man schon lange Zeit, dass diese Partei, auf dieser Welle, sehr an Zustimmung gewinnt. Das ist besorgniserregend, weil das eine Partei ist, die nicht Antworten für die Zukunft gibt, sondern im Rückgriff auf das Vergangene versucht, komplexe Fragen von heute zu lösen. Das hat keine Perspektive. 

DOMRADIO.DE: Im Frühjahr haben die deutschen katholischen Bischöfe sehr klar gesagt: "Die AfD ist für Christen nicht wählbar." War das in Ihren Augen hilfreich? 

Giele: Ich fand es vor allen Dingen mutig. Es ist die Konsequenz einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Parteiprogrammen und dem öffentlichen Auftreten dieser Partei. Die spricht natürlich sehr fremdenkritisch bis fremdenfeindlich, was dem Christlichen widerspricht. Sie bedienen einen nationalen Egoismus, was einer Weltkirche nicht gut zu Gesicht stehen kann. Und es gibt viele andere Positionen, die mit dem christlichen Menschen und Glaubensbild nicht vereinbar sind. 

DOMRADIO.DE: Es heißt ja immer so schön: Ausgrenzen bringt gar nichts, wir müssen die AfD inhaltlich stellen. Wie kann und muss dieses "inhaltlich stellen" in Ihren Augen aussehen? 

Gregor Giele

"Wir sprechen normalerweise von Gesprächspartnern, aber Partner sind sie einfach nicht." 

Giele: Da muss ich ehrlich zugeben, dass ich in dem Punkt eher ernüchtert bin. Die AfD kamen ja schon bei den Wahlen vor vier Jahren in Frage. Damals haben wir auch das Gespräch gesucht und diese Gespräche sind in aller Regel schief gegangen. Unser Gegenüber hat immer nur ein Gesprächssetting akzeptiert, dass volle Zustimmung zu ihren Positionen versprach. Kritische Rückfragen, oder kritische Anmerkungen wurden sofort beantwortet, indem in den aggressiven Modus umgeschaltet wurde, und man beschimpft wurde, das die Kirche auch nicht mehr das wäre, was sie sein sollte. Man kommt mit der AfD nicht in einen konstruktiven Dialog oder Streit. Wir sprechen normalerweise von Gesprächspartnern, aber Partner sind sie einfach nicht. Sie lassen sich nicht darauf ein. 

DOMRADIO.DE:  Wie sehr sind Sie denn in Ihrem Gemeindealltag mit solchen Fragen konfrontiert? Kommen zum Beispiel Menschen mit Gewissensfragen zu Ihnen? Oder werden Sie in Diskussionen verwickelt? 

Gregor Giele

"Mit der AfD werden wir natürlich auf ein Problem gestoßen, das wir sonst nicht so sehr im Blick haben."

Giele: Es wird natürlich in den Gemeinden diskutiert. Leipzig als Großstadt gilt aber als eher links- oder SPD-orientiert, so dass das Phänomen nicht ganz so groß ist. Mit der AfD werden wir natürlich auf ein Problem gestoßen, das wir sonst nicht so sehr im Blick haben. Es gibt in Deutschland, nicht nur in Ostdeutschland ein großes Stadt-Land-Gefälle und die Verbreitung der AfD ist im ländlichen Raum, der sich abgehängt, nicht gesehen, oder nicht wahrgenommen fühlt, deutlich höher als in großen Städten. 

DOMRADIO.DE: Im Umgang mit potenziellen AfD Wählern wird immer wieder auf die Verunsicherung der Menschen verwiesen und darauf, dass sich viele übergangen und nicht gesehen fühlen. Und Sie haben ja auch gerade gesagt, dass man mit denen gar nicht ins Gespräch kommt. Aber bei denen, die sich vielleicht noch nicht entschieden haben. Liegt da aber nicht auch eine Chance? Indem man den Menschen auch das Gefühl gibt, dass man ihnen erstmal zuhört?

Giele: Das ist unbedingt notwendig. Ich glaube, dass das Wort der deutschen Bischöfe genau das angestrebt hat. Sie wollten ein Zeichen setzen, um mit denen, die sympathisieren, aber nicht direkt die Überzeugung teilen, ins Gespräch kommen zu können. 

Man muss ja ins Gespräch kommen und darauf hinweisen, dass so viele Grenzen überschritten worden sind. Dennoch ist das immer schwierig, weil die Stimmungslage, die hinter der Sympathie für die AfD steht, so schwer zu fassen ist. Es sind ja jetzt nicht die Ärmsten oder finanziell existenziell Abgehängten, die da unbedingt hinlaufen, sondern der Mittelstand. Es sind Menschen, die eigentlich von den objektiven Fakten her gut gestellt sind und die dennoch in ihrer Stimmungslage voller Unzufriedenheit und Wut sind, die man schwer zu greifen bekommt. Was ist eigentlich der Grund dieser Stimmungslage? Und da stehen wir relativ ratlos davor. 

DOMRADIO.DE: Gerade jetzt, im Europawahlkampf, hat es massive Skandale rund um die Spitzenkandidaten gegeben. Haben Sie da gemerkt, dass doch der eine oder die andere nachdenklich geworden ist? 

Gregor Giele

"Keiner der bisherigen Skandale hat sie wirklich irgendwie in der Wählergunst beeinträchtigt." 

Giele: In den letzten Tagen waren die Einschläge für die AfD so deutlich, dass auch eine kleine Wirkung wahrzunehmen ist. Ansonsten muss man aber feststellen, dass es ein Phänomen der AfD ist, dass keiner der bisherigen Skandale sie wirklich irgendwie in der Wählergunst beeinträchtigt hat. Dass ihnen das nicht schadet ist ein Teil dieser irrationalen Entwicklung. 

DOMRADIO.DE: In diesem Wahlkampf hat es eine ganze Serie von Übergriffen auf Politikerinnen und Politiker ganz unterschiedlicher Parteien gegeben, auch gegenüber der AfD. Was zeigt das wiederum in Ihren Augen? 

Giele: Ich war davon zunächst sehr irritiert und beunruhigt, bis eine kommunale Politikerin, die schon seit vielen Jahren politisch aktiv ist, mir hier in Leipzig erklärt hat, dass eine gewisse Aggressivität im Wahlkampf eigentlich immer schon vorhanden war und dass es vielleicht eher ein positives Zeichen ist, dass wir jetzt sensibler darauf reagieren. Vielleicht sollte man mal mit erfahrenen Wahlkämpfern mal ins Gespräch kommen und die befragen, ob die Sensibilität für dieses negative Phänomen, Gott sei Dank, einfach gewachsen ist. Da bin ich gerade dabei, einen neuen Blick auf die Fragestellung zu gewinnen. 

DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie, vor diesem Hintergrund, die Rolle der Kirchen? Was für einen Einfluss können die vielleicht haben? 

Gregor Giele

"Wir hier in Leipzig machen das ökumenisch mit sogenannten Wahlchecks vor den Wahlen."

Giele: Das ist ja immer ein sehr schwieriges Thema. Kirche sollte nicht direkt parteipolitisch aktiv werden. Tut sie ja auch nicht. Ich glaube, es ist ein wichtiger Dienst, wenn Kirchen dazu einladen, dass die Parteien ihre positiven Ansätze stärker formulieren. 

Die meisten Wahlkampfveranstaltungen, wenn mehrere Parteien aufeinandertreffen, sind ja Debatten und Diskussionen und der Lauteste, die Lauteste und Debattierfähigsten setzen sich durch. Ich finde es gut, wenn Kirchen dazu aufrufen die Parteien nach ihren Inhalten zu betrachten und bewerten. Wir hier in Leipzig machen das ökumenisch mit sogenannten Wahlchecks vor den Wahlen. Und es ergibt meistens ein ganz anderes Bild, wenn man verschiedene Parteienvertreter fragt, was sie positives zu dem einen oder anderen Thema sagen können und nicht gegeneinander diskutieren. 

DOMRADIO.DE: Was ist Ihr Appell für diese Europawahl? Und dann auch für die anstehende Landtagswahl im Herbst?

Giele: Der klassische Appell heißt immer: "Bitte, bitte wählen gehen." Alle Parteien, egal welchen Spektrums, beziehen sich ja immer auf die schweigende Mehrheit und vereinnahmen die für ihre eigene Position. Je breiter, je größer die Stimmabgabe ist, umso eindeutiger ist das Bild, wo die Bevölkerung wirklich steht. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Europawahl

Alle 5 Jahre wählen die Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union (EU) ein neues Europäisches Parlament. Alle, die wählen gehen, entscheiden mit, wer die Bürger und Bürgerinnen im Europäischen Parlament vertritt. Gewählt wird in allen Staaten der EU.

Vor der Europawahl / © Boris Roessler (dpa)
Vor der Europawahl / © Boris Roessler ( dpa )
Quelle:
DR