Der jüdische Alltag in Deutschland ist nicht mehr sicher

202 Vorfälle in erster Kriegswoche

Antisemitismus-Experten sehen Deutschlands Juden zunehmend bedroht. Es gebe immer mehr islamistische und linksextreme Taten gegen Juden. Bisherige automatische Zuordnungen solcher Taten zum Rechtsextremismus müssten überdacht werden.

Autor/in:
Gottfried Bohl
Ein Davidstern an der nicht öffentlich zugänglichen Schweriner Synagoge / © Jens Büttner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (dpa)
Ein Davidstern an der nicht öffentlich zugänglichen Schweriner Synagoge / © Jens Büttner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ ( dpa )

Jüdinnen und Juden in Deutschland fühlen sich in ihrem Alltag zunehmend bedroht. Das berichtet der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias).

Seit dem Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober beobachte man bundesweit ein stark gestiegenes Meldeaufkommen judenfeindlicher Vorfälle, sagte ein Sprecher am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Mehr als dreimal so viele Taten wie im Vorjahreszeitraum

Daniel Poensgen, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Rias, hatte zuvor im ZDF-Morgenmagazin berichtet, alleine in der ersten Woche bis zum 15. Oktober seien 202 antisemitische Vorfälle registriert und auch verifiziert worden – mehr als dreimal so viele wie im selben Zeitraum des Vorjahres.

Ein Bereich neben der Tür eines israelischen Restaurants in Nürnberg ist am Abend des 29.10.2023 abgeklebt. Auf die Hauswand hatten noch unbekannte Täter einen Davidstern gesprüht. Wie die Polizei mitteilte, ist dieser knapp zwei Quadratmeter groß und wurde in der Nacht zum Sonntag an die Fassade gebracht – zusammen mit einer beleidigenden Formulierung.  / © Besold/vifogra/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (dpa)
Ein Bereich neben der Tür eines israelischen Restaurants in Nürnberg ist am Abend des 29.10.2023 abgeklebt. Auf die Hauswand hatten noch unbekannte Täter einen Davidstern gesprüht. Wie die Polizei mitteilte, ist dieser knapp zwei Quadratmeter groß und wurde in der Nacht zum Sonntag an die Fassade gebracht – zusammen mit einer beleidigenden Formulierung. / © Besold/vifogra/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ ( dpa )

Die weiteren Zahlen aus den Wochen danach seien bisher noch nicht komplett ausgewertet, fügte der Sprecher hinzu. Nach Angaben des SWR ("Report Mainz", Dienstagabend) berichtet das Bundeskriminalamt (BKA) von deutschlandweit inzwischen rund 2.000 Straftaten mit Bezug zum Nahost-Konflikt.

Dabei handele es sich vor allem um Sachbeschädigungen, Volksverhetzung, Widerstandsdelikte, Landfriedensbruch und Körperverletzungen.

Radikalisierungsgefahr durch islamistische Propaganda

Der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, Michael Fischer, warnte im SWR vor einer Radikalisierung. Denn Islamisten versuchten, die Lage in Nahost für ihre Propaganda auszunutzen.

Es gebe die Gefahr, dass bisher nicht extremistisch orientierte Muslime durch diese Ideologie erreicht und für juden- und verfassungsfeindliche Positionen radikalisiert werden könnten.

Rias zähle anders als die Behörden und registriere auch Fälle unterhalb der Strafbarkeit, ergänzte Poensgen im ZDF.

Besonders starker Anstieg von islamistischen und linksextremen Taten

Im Alltag beobachte man etwa Anfeindungen am Arbeitsplatz, aber auch Markierungen an Wohnungen und Häusern, in denen Juden leben. Dies führe zu einem "großen Bedrohungspotenzial in jüdischen Communities".

Auch über Soziale Medien erhielten Jüdinnen und Juden immer wieder Drohungen wie "Schade, dass Hitler vergessen hat, Dich zu vergasen."

Soziale Medien: Tiktok und Instagram / © Koshiro K (shutterstock)
Soziale Medien: Tiktok und Instagram / © Koshiro K ( shutterstock )

Einen besonders starken Anstieg bei den registrierten Fällen gebe es vor allem im Bereich des israelfeindlichen Aktivismus – etwa aus dem Umfeld von Israel-Boykott-Bewegungen wie BDS – sowie aus islamistischen Kreisen und aus der radikalen Linken.

Bislang automatische Einteilung antijüdischer Taten als rechtsextrem 

Angesprochen auf Zahlen des Bundeskriminalamts BKA, wonach etwa 82 Prozent der judenfeindlichen Taten aus dem rechtsextremen Bereich kämen, erklärte Poensgen, auch Rias teile weiter die Einschätzung, dass sehr viele Vorfälle diesem Hintergrund zuzuordnen seien sowie dem Bereich der Verschwörungsideologien.

Allerdings gebe es auch das Problem, dass bisher alles automatisch dem Bereich Rechtsextremismus zugeordnet werde, wenn die Hintergründe unklar seien.

Diese Zuordnungspraxis müsse beendet werden, forderte der Rias-Experte. Stattdessen müssten Polizei und Behörden die Taten genauer auswerten.

Wo hört Israel-Kritik auf und beginnt Antisemitismus?

Auf die Frage nach der Grenze, wo berechtigte Kritik an Israel und seiner Politik ende und Antisemitismus beginne, sagte Poensgen: "Wenn Israel insgesamt delegitimiert wird, wenn also das Existenzrecht des Staates verneint wird, wenn klassische antisemitische Stereotype einfach auf Israel übertragen werden und wenn Israel in einer dämonisierenden Art und Weise beschrieben wird, dann haben wir es mit israelbezogenem Antisemitismus zu tun."

Starke Zunahme von Antisemitismus an Schulen

Der Terror der Hamas in Israel heizt offenbar auch Konflikte auf deutschen Schulhöfen an. Seit dem Terrorkrieg der Hamassei an Schulen eine starke Zunahme von antisemitischen, israelfeindlichen und islamistischen Parolen zu beobachten, sagte die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, der Zeitung "Tagesspiegel". "Antisemitische Einstellungen und Verschwörungsmythen sind leider auch in muslimischen Communities weit verbreitet", so Ataman.

Die Publizistin Ferda Ataman nach ihrer Wahl zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag. Ataman will Sonderregelungen für kirchliche Arbeitgeber einschränken. / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Die Publizistin Ferda Ataman nach ihrer Wahl zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag. Ataman will Sonderregelungen für kirchliche Arbeitgeber einschränken. / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
KNA