Blick auf das künftige Einsatzgebiet von Erzbischof Gänswein

Kirchen und Politik in den drei Baltenrepubliken

Papst Franziskus hat den früheren Papstsekretär Erzbischof Georg Gänswein zum Nuntius im Baltikum ernannt. Ihn erwarten drei religiös sehr verschiedene Länder und ein geopolitisch höchst spannendes Gebiet.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Blick auf Vilnius / © Gabriele_Dessi (shutterstock)

Papstbotschafter im Baltikum. Das klingt als Posten erst mal mittelspannend. Doch die Aufgabe hat es in sich: kulturell,religiös und geopolitisch. Papst Franziskus kennt die drei baltischen Republiken aus eigener Anschauung; er besuchte sie im September 2018.

Erzbischof Georg Gänswein / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Erzbischof Georg Gänswein / © Stefano dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

Estland, Lettland und Litauen gehören seit 2004 zur Nato und zur EU - und waren noch bis 1990 Teil der Sowjetunion. Die Angst vor Russland und Belarus ist dort besonders groß, auch mit Blick auf die Jahrzehnte der sowjetischen Besetzung. Mit dem Rest der EU ist das Baltikum nur mit einem 65 Kilometer breiten Landsteg verbunden: dem Suwalki-Korridor zwischen Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad.

Religiös sind die drei Länder höchst verschieden. Von den rund 2,85 Millionen Litauern sind rund 80 Prozent Katholiken; etwa 4 Prozent sind russisch-orthodox und 2 Prozent evangelisch-lutherisch. In der Hauptstadt Vilnius wird Erzbischof Gänswein als Nuntius residieren.

Kein Papstwähler mehr

Die Kirche in Litauen umfasst sieben Diözesen. Vorsitzender der Bischofskonferenz ist der Erzbischof von Vilnius, der in den USA aufgewachsene Gintaras Grusas (62). Einer von drei baltischen Kardinälen ist sein Vorgänger Audrys Backis (87); der zweite ist Sigitas Tamkevicius (85), früher Erzbischof von Kaunas. Alle drei wurden noch von dem Polen Johannes Paul II. (1978-2005) ernannt.

Gintaras Linas Grusas, Erzbischof von Vilnius und Präsident des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Gintaras Linas Grusas, Erzbischof von Vilnius und Präsident des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Der litauische Großfürst Jagiello wurde 1386 durch Heirat und Übertritt zum Christentum polnischer König und begründete die Polnisch-Litauische Personalunion. Der Sieg des polnisch-litauischen Heeres in der Schlacht bei Tannenberg 1410 beendete die territoriale Bedrohung durch den Deutschen Orden.

Die enge politische Einheit Polens und Litauens mündete 1569 in die sogenannte Lubliner Union; sie besiegelte für lange Zeit das Ende des eigenständigen Litauens. In der Reformationszeit blieb Litauen mit Polen katholisch, während im nördlichen, deutsch beeinflussten Teil des Baltikums die Reformation Einzug hielt. Nach den Polnischen Teilungen kam Litauen 1795 unter russische Herrschaft und blieb dort - mit dem kurzen Intermezzo staatlicher Unabhängigkeit (1918-1940) - bis 1990.

Russen in Riga

In Lettland, der mittleren der drei Republiken, bekannten sich Ende 2016 von den rund 1,9 Millionen Bürgern etwa 21 Prozent zur katholischen Kirche. Die evangelisch-lutherische Kirche erreicht einen Anteil von 35, die orthodoxe Kirche von 19 Prozent. Nirgends im Baltikum gibt es so viele russisch sprechende Menschen wie in der lettischen Hauptstadt Riga.

Erzbischof dort ist Zbignevs Stankevics (69); Vorsitzender der Bischofskonferenz ist Bischof Janis Bulis (73) von Rezekne-Aglona.

Zbignevs Stankevics, Erzbischof von Riga, am 13. März 2019 in Brüssel. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Zbignevs Stankevics, Erzbischof von Riga, am 13. März 2019 in Brüssel. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Ein besonders konservativer Kirchenführer ist der Rigaer Emeritus und Kardinal Janis Pujats (93).

Estland, die nördliche der drei baltischen Republiken, ist kleiner als Niedersachsen. Von den rund 1,3 Millionen Esten sind nur rund6.000 katholisch. Es gibt nur neun Pfarreien im ganzen Land. 

In Estland gibt es keine Diözese, sondern nur eine Apostolische Administratur (seit 1924), geleitet seit 2005 von dem französischen Bischof Philippe Jean-Charles Jourdan (63). Die estnischen Katholiken sind so international wie ihre Priester. In den Gemeinden wird die Messe meist auf Russisch oder Polnisch gefeiert.

Mehrheit der Esten konfessionslos

Mit der Eroberung durch das protestantische Schweden im 17. Jahrhundert zog in Estland der lutherische Glaube ein. Heute bezeichnen sich allerdings nur noch weniger als 30 Prozent der Bevölkerung als Christen; sie sind zu etwa gleichen Anteilen lutherisch und orthodox. Die große Mehrheit der Esten ist konfessionslos.

Blick auf Tallinn / © Kirk Fisher (shutterstock)

Neben ihrer Freiheitsliebe eint die drei Baltenrepubliken ihre Leidenschaft für Volkslieder ("dainas"). Hymnen und Lieder haben den Letten, Esten und Litauern über die Jahrhunderte wechselnder Fremdherrschaften ihre nationale Identität bewahrt. In Lettland soll es sogar mehr Lieder als Menschen geben. Diese gemeinsame Seele, Kultur und Ausdrucksweise konnten den Balten weder die Nazis noch die Sowjets nehmen. Mit ihrem Gesang begann auch jene Revolution, die am Ende die Sowjetherrschaft zu Fall brachte.

Am 23. August 1989 bildeten etwa zwei Millionen Teilnehmer die größte Menschenkette aller Zeiten; 620 Kilometer überspannte sie von Vilnius über Riga bis nach Tallinn. Die drei baltischen Sowjetrepubliken wider Willen wollten ihre Unabhängigkeit. Die Menschenkette rief "Freiheit!", und Radiosender in allen drei Ländern spielten ein eigens komponierte Lied. "Das Baltikum erwacht: Lettland, Litauen, Estland"; drei Schwestern, die am Meeresufer erwachen, um ihre Ehre zu verteidigen. Wenig später folgte die Unabhängigkeit - die heute wieder bedroht ist.

Apostolischer Nuntius

Der Apostolische Nuntius ist in Doppelfunktion Gesandter des Papstes bei einer Ortskirche und zugleich bei einem Staat oder einer öffentlichen Autorität. Als Mittelsmann des Papstes soll er in erster Linie die Verbindung zwischen dem Apostolischen oder Heiligen Stuhl und der Kirche seines Gastlandes halten und stärken. Zudem soll er nach den Normen des internationalen Rechts das Verhältnis zwischen dem Vatikan und den Staatsautoritäten pflegen, Staat-Kirche-Fragen behandeln und etwa durch Konkordate oder andere Vereinbarungen regeln.

Ein Pileolus und eine Stola liegen auf einer Kirchenbank / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Pileolus und eine Stola liegen auf einer Kirchenbank / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA