Berliner Erzbischof Heiner Koch wird 70 Jahre alt

"Mit der Kölner Prinzengarde einmal durch Berlin ziehen"

Ein Rheinländer an die Elbe, dann weiter an die Spree. Was am Anfang ein Kulturschock für beide Seiten schien, erwies sich schnell als Glücksfall. Wie Heiner Koch heute auf sein Leben schaut, erklärt er im Geburtstagsinterview.

Berliner Erzbischof Heiner Koch  / © Walter Wetzler (privat)
Berliner Erzbischof Heiner Koch / © Walter Wetzler ( privat )

DOMRADIO.DE: An Ihrem 26. Geburtstag, dem 13. Juni 1980, sind Sie im Kölner Dom von Kardinal Höffner zum Priester geweiht worden. An diesem Donnerstag vollenden Sie Ihr 70. Lebensjahr. Die Koinzidenz dieser beiden wesentlichen Ereignisse, Weihetag und Geburtstag, fallen für Sie seit über 40 Jahren immer auf denselben Tag. Zufall oder Fügung? 

Erzbischof Dr. Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Bis heute feiere ich beide Anlässe mit großer Freude. Dass sie auf einen Tag zusammenfallen, ist für mich ein wichtiges Zeichen, weil es mir etwas über den Inhalt und die Ausrichtung meines Lebens sagt: Mein Priestersein und mein Leben sind untrennbar miteinander verbunden. 

Berliner Erzbischof Dr. Heiner Koch / © Walter Wetzler (privat)
Berliner Erzbischof Dr. Heiner Koch / © Walter Wetzler ( privat )

Dabei ist für mich immer von besonderer Bedeutung geblieben, am Herz-Jesu-Fest zum Priester geweiht worden zu sein; an einem kirchlichen Hochfest, das in seiner Bildsprache ganz Entscheidendes über Gott aussagt: Gott liebt jeden von uns von ganzem Herzen. Deshalb wurde er in Jesus Christus Mensch. Seine unbegrenzte Liebe ist und bleibt stärker als der Tod. Aus dieser Hoffnung lebe ich meinen priesterlichen Dienst und entdecke jeden Tag mehr, dass alles Leben Geschenk und Gottes Gnade ist.

DOMRADIO.DE: Sie sind nur wenige Jahre nach Kriegsende geborenHätten Sie mit 30 oder 40 je gedacht, eines Tages mit den Spitzen der deutschen Politik Gottesdienste in Berlin zu feiern und auf diese Weise Geschichte hautnah mitzuerleben und auch mitzugestalten? 

Koch: "Wir wissen nicht, wohin uns Gott führt, wir wissen nur, dass er uns führt." Dieses Wort von Edith Stein hat mich in den letzten 44 Jahren immer begleitet. Es bedeutet mir so viel, dass in meinem Bischofskreuz ein kleines Stück ihres Profess-Gewandes eingearbeitet ist, das mir die Schwestern des Kölner Karmel, in dem Edith Stein gelebt hat und wo ich in meiner Kölner Zeit oft die heilige Messe gefeiert habe, geschenkt haben. Letztlich heißt dieser Satz ja, dass wir uns voller Vertrauen in Gottes Hände geben können und hoffen dürfen, dass er uns führt und nicht allein gehen lässt.

Berliner Erzbischof Dr. Heiner Koch / © Walter Wetzler (privat)
Berliner Erzbischof Dr. Heiner Koch / © Walter Wetzler ( privat )

Eigentlich wollte ich immer Seelsorger in einer Pfarrei sein, so wie ich es selbst in meiner Heimatgemeinde in Düsseldorf-Eller erlebt hatte. Allenfalls wäre Schulseelsorge noch eine Alternative gewesen. Doch es kam von Anfang an anders. Heute schaue ich mit großer Dankbarkeit auf die Geschichte meines Weges, der mich schließlich vor neun Jahren nach Berlin geführt hat, wo ich in meinem Bistum in der Tat immer wieder vielen Bundespolitikerinnen und -politikern begegne, aber auch im intensiven Austausch mit den drei Landesregierungen von Berlin, Brandenburg und Vorpommern bin, die im Osten Deutschlands doch nochmals sehr unterschiedlich ausgerichtet sind. Viele dieser Begegnungen erlebe ich als persönlich sehr bereichernd.

DOMRADIO.DE: Wie würden Sie mit wenigen Worten Ihr Bistum, in dem der Anteil an Katholiken gerade mal bei 6,4 Prozent liegt, charakterisieren?

Koch: Als international, sehr differenziert und mit Menschen unterschiedlichster Lebens- und Weltanschauung. Und wenn ich noch ergänzen darf: Bis zur Reformation stand die hiesige katholische Kirche, die heute in einer sehr herausfordernden Diasporasituation lebt, in reicher Blüte, etwa mit vielen bedeutenden Klöstern. Erst vor 250 Jahren wurde in Berlin wieder eine katholische Kirche, unsere Hedwigs-Kathedrale, errichtet. 

Berliner Erzbischof Dr. Heiner Koch / © Walter Wetzler (privat)
Berliner Erzbischof Dr. Heiner Koch / © Walter Wetzler ( privat )

Jetzt lebe ich hier mitten unter Menschen, die oftmals fast nichts über den christlichen Glauben und die Kirche wissen und beides folglich auch nicht ablehnen können. Im Jahr 1930 ist dann hier ein neues Bistum entstanden, in dem heute ganz unterschiedlich geprägte Christen zusammenleben: Christen, die in der DDR bei allen Anfeindungen zu ihrem Glauben gestanden haben; Christen, die aus anderen Teilen Deutschlands und auch der ganzen Welt nach Berlin gekommen sind, oder die große Zahl der als Erwachsene Getauften. 

Erzbischof Heiner Koch

"Auch hier gibt es heiliges Land: voller Wunder und Geheimnisse, aber eben auch voller Unglauben und Gottesferne."

Und immer wieder spüre ich, dass Gott mitten in dieser so säkularen Gesellschaft im Osten Deutschlands wirklich gegenwärtig ist im Herzen so vieler Menschen, die unsere Kirche mit ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Konfession oder auch Religion bunt machen und ihre vielleicht ganz anderen Erfahrungen und Überzeugungen als Bereicherung einbringen. 1987 war ich einmal als Studentenpfarrer mit einer Gruppe Studierender zu einer Wallfahrt in Berlin und habe damals in dieser Stadt mit allen ihren Spannungen ganz überraschend dennoch Spuren Gottes entdeckt. Auch hier gibt es heiliges Land: voller Wunder und Geheimnisse, aber eben auch voller Unglauben und Gottesferne. 

DOMRADIO.DE: Was macht Sie als Erzbischof von Berlin besonders dankbar?

Koch: Die Begegnung mit den Erwachsenen, die sich jedes Jahr zu Ostern taufen lassen und oftmals die einzigen Christen in ihren Familien oder ihrem beruflichen Umfeld sind. Mich bewegt die Treue junger Menschen zu ihrem Glauben, die meist die einzigen Christen in ihrer Schulklasse sind und den Mut haben, gegen jeden gesellschaftlichen Trend ihren Weg zu gehen. Mich bewegt ihre Entschiedenheit für die Kirche trotz deren Schattenseiten. Mich bewegt die Glaubensfreude, die ich hier oftmals sehr reich erfahre. Vor allem aber bin ich dankbar, dass ich auch hier konkret die Güte Gottes und die Liebe vieler Menschen sowie die Treue derer spüre, die ich in der Heimat zurückgelassen habe und die mich bis heute tragen. Das ist wohl auch der Grund, warum mir in meinem Leben die Eucharistie, die Feier der Danksagung, so viel bedeutet.

DOMRADIO.DE:  Mit welchen Problemen die Kirche in Ostdeutschland zu kämpfen hat, haben Sie ja schon bereits 2013 als Bischof von Dresden-Meißen erfahren, wo Katholiken, aber auch Christen generell eine absolute Minderheit darstellen, weil die meisten – Sie erwähnten es bereits – regimebedingt Gott nie kennengelernt haben. Wie schauen Sie auf diese Zeit zurück, als es die ersten Pegida-Demos gab? Und was bewegt Sie angesichts der aktuellen politischen Entwicklung mit dem Erstarken der AfD? Macht das nicht manchmal auch mutlos?

Koch: Auf dem Platz vor der Dresdner Kathedrale habe ich Ende 2014 die ersten Montagsdemonstrationen erlebt, bei denen Menschen zunächst sehr offen ihre Anliegen vorgebracht haben. Und dann habe ich beobachtet, wie schnell daraus Demonstrationen wurden, die sich immer mehr radikalisierten. Alle unsere Versuche, die Menschen dieser Bewegung durch Gespräche in die Mitte der Gesellschaft zu integrieren, damit sie sich nicht weiter verhärten, sind damals gescheitert. Wir mussten feststellen, dass da auch eine unversöhnliche Hasswelle auf uns zukam, die auf dem Eindruck basierte, in der deutschen Gesellschaft, vor allem von den "Wessis", nicht angemessen wertgeschätzt und den innerdeutschen Machtverhältnissen ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Schon damals zeichnete sich ab, dass diese Bewegung, die letztlich dann weit über Ostdeutschland hinausging, einen großen Zulauf gewinnen und die Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft infrage stellen würde, nämlich dass der unbedingte Wert der Würde eines jeden Menschen nicht mehr geachtet und das Verständnis von Demokratie als Haltung des Aufeinander-Hörens und Aufeinander-Achtens nicht mehr geteilt wird. 

Erzbischof Heiner Koch

"Heute weiß ich, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern dass wir uns permanent für sie einsetzen müssen, um sie lebendig zu halten."

In meiner Dresdener Zeit, aber auch später in Berlin habe ich gerade den gesellschaftlichen und politischen Raum als sehr anstrengend erlebt und gespürt, wie überfordert die Gesellschaft, die Politik, aber auch die Kirche angesichts dieser immensen Herausforderungen waren, was dann bei nicht wenigen in eine Aggressivität umgeschlagen ist, wie ich sie mitunter auch innerhalb der Kirche erlebe. Heute weiß ich, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern dass wir uns permanent für sie einsetzen müssen, um sie lebendig zu halten. Das kostet sehr viel Anstrengung, ist oft kräftezehrend und vielleicht sogar zermürbend, aber mutlos macht mich das nicht.

DOMRADIO.DE: Gibt es Lernerfahrungen, die Sie damals 2015, als sie vom Bistum Dresden-Meißen zunächst schweren Herzens nach Berlin wechselten – weil Sie an der Elbe gerade heimisch geworden waren – an die neue Wirkungsstätte mitnehmen konnten und die Ihnen dort zugute gekommen sind?

Koch: Zum Beispiel, dass der Osten Deutschlands in der Mitte Europas liegt und Europa viel mehr ist als sein Westen, wir also auch anderen gesellschaftlichen Systemen, Kulturen und Traditionen gegenüber offen sein müssen. Mit Blick auf die Kirche habe ich gelernt, dass wir nicht mehr all das tun können, was sinnvoll ist und was wir uns eigentlich vorgenommen haben, weil uns die finanziellen Mittel dazu fehlen, sondern dass unser Wirken in dieser Gesellschaft vor allem ein positives Zeichen sein muss, das ausstrahlt und überzeugt. Ich habe in dieser Zeit gelernt, die Missbrauchsvorwürfe in unserer Kirche bewusst wahrzunehmen, sie viel stringenter zu bearbeiten und viel in die Prävention zu investieren. Dabei habe ich erfahren, dass diese Verbrechen nicht ausschließlich im kirchlichen Bereich geschehen sind, auch wenn sie in der Öffentlichkeit am ehesten mit Kirche in Zusammenhang gebracht werden. 

Vor allem aber habe ich gelernt, wie segensreich es ist, stellvertretend für die Menschen zu leben und zu beten, die nicht an Gott und nicht an Christus glauben, und welch eine Gnade es ist, überhaupt glauben zu dürfen und zu können. Daher ist mir auch der Satz aus dem Hochgebet so wichtig, den ich stets in großer Demut und sehr bewusst bete: "Wir danken dir, Vater, dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen". Und ich habe gelernt, wie dankbar so viele Menschen dafür sind, dass es Christen gibt, die an Gott glauben und auf einen Glauben vertrauen, der sie trägt und stärkt, und dass es eine Kirche gibt, die bei aller Schwachheit die Hoffnung in sich birgt, dass eines Tages für alle alles beim Vater im Himmel gut wird. 

DOMRADIO.DE: Ortsbischof zu sein – erst recht in einer Diözese wie Berlin, die sich auf 30.000 Quadratkilometern erstreckt – ist doch eigentlich das Gegenteil von dem, wofür Sie einmal als Priester angetreten sind: nämlich für eine nahbare Seelsorge eins zu eins. Heute sind Sie als Krisenmanager gefragt und Moderator großer Prozesse – wenn ich da nur an die Strukturreform im Erzbistum Berlin oder den aufwendigen Umbau Ihrer Kathedrale denke. Wie schwer fällt Ihnen, immer nur groß denken zu müssen? Bedauern Sie nicht manchmal, für die einzelnen Nöte und Sorgen Ihrer Gemeindeschäfchen kaum Zeit zu haben?

Koch: Bei allen Leitungsaufgaben, bei aller Verantwortung für das ganze Bistum, ist mir die Seelsorge trotzdem ein großes Anliegen geblieben. Wenn ich da etwa an Gespräche mit manchen Politikern denke, die oftmals schnell auch seelsorglich-vertraut werden. Oder wenn ich in jedem Jahr sieben unserer insgesamt 35 Pfarreien visitiere – jede einzelne fünf Tage lang – dann wächst da auch viel an persönlicher Beziehung. Inzwischen sind mir die Gemeinden und viele Menschen sehr vertraut, und ich bin ihnen vertraut. Die schönste Beschreibung für meine Aufgaben ist für mich ohnehin die des Hirten, der dankbar ist, dass er an seiner Seite auch Menschen hat, die für ihn Hirten sind.

DOMRADIO.DE: Sie haben Kirche aus sehr unterschiedlichen Perspektiven kennengelernt: als Studentenpfarrer, Frauenseelsorger, Seelsorgeamtsleiter, Generalsekretär des Kölner Weltjugendtages, Bundesschützenpräses, Caritas-Verantwortlicher, Renovabis-Vorsitzender, um nur einige Aufgaben zu nennen. Haben Sie ein Herzensthema, das Ihnen über all die Jahrzehnte wichtig geblieben ist?

Erzbischof Heiner Koch

"Die Gottesfrage in einer derart pluralen und säkularen Gesellschaft wie in Berlin wach zu halten, ist für mich die größte und wichtigste Herausforderung."

Koch: Ich bin heute als Erzbischof von Berlin wie auch zu Beginn meines Dienstes als Weihbischof im Süden des Erzbistums Köln so dankbar, dass mich als Bischofswort Tag für Tag der Vers "Freut Euch im Herrn zu jeder Zeit! Der  Herr ist nahe!" aus dem Philipperbrief begleitet. Das spüre ich wirklich, das erfahre ich, das sehe ich, das glaube ich – selbst wenn diese Erfahrung manchmal verschüttet wird. Gerade auch in einer säkularen Gesellschaft, in der Gott für viele nicht vorkommt, darf ich erfahren, dass Gott sich nicht zurückzieht, aber auch, dass er manchmal ganz anders da ist und wirkt, als wir es erwarten. Die Gottesfrage in einer derart pluralen und säkularen Gesellschaft wie in Berlin wach zu halten, ist für mich die größte und wichtigste Herausforderung. Außerdem, die Menschen, die an Christus glauben, zusammenzuhalten: Wir brauchen die Gemeinschaft. Denn wer im Glauben allein gelassen wird, steht in der Gefahr, den Glauben zu verlieren. Kirche muss auch Heimat sein.

DOMRADIO.DE: Zwischen 2010 und 2016 waren Sie der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für die katholische Deutsche Auslandsseelsorge, was mit einer regen Reisetätigkeit auf alle Kontinente verbunden war. Wie schaut jemand, der auf diese Weise in der Welt herumgekommen ist, auf die deutsche Kirche?

Koch: Auch wenn ich bei den Reisen rund um den Globus vor allem die deutschen Gemeinden besucht habe, bin ich dabei immer wieder auch der Kirche vor Ort begegnet, die selbst an den äußersten Enden der Erde aus der tiefen Überzeugung lebt, dass Gott den Menschen nahe ist – auch in allergrößter Not. In vielen Teilen der Welt wächst und blüht die Kirche geradezu – auch da, wo man es vielleicht gar nicht vermutet. Meistens waren die Menschen zutiefst dankbar dafür, dass sie Christen sein und in dieser Kirche leben dürfen, während die deutsche Kirche leider oft das Image hat, ein angestrengtes Verhältnis zur Gesamtkirche und zum Heiligen Vater zu haben, sie zwar viele Texte verfasst, aber kaum Leichtigkeit und ansteckende Begeisterung ausstrahlt. 

DOMRADIO.DE: Umgekehrt gefragt: Was können wir uns von der armen, aber hochengagierten Kirche Lateinamerikas oder Afrikas abschauen?

Koch: Diese Kirchen leben zweifelsohne in bedrückenden politischen und wirtschaftlichen Spannungen. Und trotzdem sind ihre hoffnungsvolle Zuversicht, ihre Lebens- und Glaubensfreude oft entwaffnend und zutiefst bewegend. Außerdem können wir uns von der vielerorts spürbar vertrauensvollen Beziehung zwischen Klerus und Laien, von diesem reibungslosen Miteinander zum Wohl der oft weit verstreuten Gemeinden, die dankbar sind, wenn überhaupt einmal ein Priester vorbeischaut, sicher eine große Portion Gelassenheit abschauen.

DOMRADIO.DE: Noch einmal zurück in die Heimat: Was bereitet Ihnen aktuell innerkirchlich die allergrößte Sorge?

Erzbischof Heiner Koch

"Es belastet mich nicht, dass wir Christen im Osten Deutschlands eine Minderheit sind. Was mich bedrückt, ist die Frage, ob wir in dieser Situation mit schuld daran sind, dass Menschen nie etwas vom Glauben an die Auferstehung gehört und die Freude und Kreativität dieses Glaubens bei uns nie erlebt haben."

Koch: Dass wir in sogenannten Blasen Gleichgesinnter leben, die sich gegenseitig nur bestätigen und von denen absondern, die oftmals ganz andere Erfahrungen und Überzeugungen teilen. Zudem sehe ich die Gefahr, dass wir nicht mehr eine Lerngemeinschaft voller Vertrauen sind, sondern skeptisch, manchmal sogar aggressiv im Herzen und uns auch beim theologischen Argumentieren gegeneinander positionieren. Und mich treibt um, dass wir gerade in dieser Haltung kein Hoffnungszeichen mehr sind und auch anderen, die die Dimension des Glaubens nicht kennen oder nicht leben, keinen Raum mehr für Glaubenserfahrungen eröffnen und – schließlich zuletzt – dass wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht werden. Es belastet mich nicht, dass wir Christen im Osten Deutschlands eine Minderheit sind. Was mich bedrückt, ist die Frage, ob wir in dieser Situation mit schuld daran sind, dass Menschen nie etwas vom Glauben an die Auferstehung gehört und die Freude und Kreativität dieses Glaubens bei uns nie erlebt haben. 

DOMRADIO.DE: Eine Herz-OP hat Sie mitten in der Pandemie 2020 völlig unerwartet ausgebremst. Das war damals ein ernstes Alarmsignal, denn mit einem Mal musste alles ganz schnell gehen. Was geht einem da durch Kopf und Herz, wenn erst mal nichts mehr geht?

Koch: Während einer routinemäßigen Zahnoperation kollabierte auf einmal mein Herz, so dass notfallmäßig für den nächsten Tag eine Herz-OP in der Charité angesetzt wurde. Die Stunden dazwischen habe ich noch in lebhafter Erinnerung: Ich habe die Krankensalbung empfangen, einige Menschen angerufen, ganz ruhig gebetet und dann dem Chef der Berliner Herzchirurgie vertraut, der mich operiert hat und dessen Kinder ich während meiner Kölner Weihbischofszeit in Bensberg gefirmt hatte. Ich habe in der Nacht vor der Operation so gut wie lange nicht mehr geschlafen: tief und fest. Vielleicht auch, weil ich das sichere Empfinden hatte, dass ich jetzt gut und gerne mein irdisches Leben abgeben könnte – in die Liebe Gottes hinein. 

DOMRADIO.DE: Gottlob ist es anders gekommen und in behutsamen Schritten – nach einer Phase der Rekonvaleszenz – konnten Sie Ihren Dienst wieder aufnehmen. Gibt es noch einen Traum, den Sie sich mit 70 unbedingt noch erfüllen wollen – außer dass Ihr Lieblingsfußballclub Fortuna Düsseldorf wieder in die erste Bundesliga aufsteigt?

Koch (lacht): Ich weiß nicht, was schwerer ist: Aber es würde mich wirklich von Herzen freuen, wenn manch einer meiner Gesprächspartner aus Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft, mit dem ich hier in Berlin im guten persönlichen Austausch bin, den Weg zu Christus und zur Taufe finden würde. Zweitens: Es ist mir ein echtes Anliegen, dass sich dauerhaft die Beziehung zwischen dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, dem ich als Geistlicher Assistent angehöre, und der Deutschen Bischofskonferenz entspannter, vertrauensvoller, kreativer und auch weniger dramatisch entfaltet als in der jüngeren Vergangenheit.

Und drittens – und das wäre tatsächlich die Erfüllung eines Traumes – würde ich gerne noch erleben, dass ich eines Tages mit der Kölner Prinzengarde, deren Regimentsbischof ich immer noch bin, durch Berlin ziehen könnte und die Berliner staunend am Rand stehen und sich jubelnd mit uns freuen. 

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Heiner Koch

Heiner Koch wurde am 13. Juni 1954 in Düsseldorf als Sohn eines Justizamtsrates geboren. Nach dem Studium der Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften in Bonn und einer Promotion in Theologie empfing er 1980 in Köln die Priesterweihe. Anschließend war er unter anderem Hochschulpfarrer an der Universität Düsseldorf und hatte leitende Funktionen in der Verwaltung des Erzbistums Köln inne.

Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse (KNA)
Erzbischof Heiner Koch / © Christoph Busse ( KNA )
Quelle:
DR