Angst vor dem Aus für das armenische Viertel in Jerusalem

Dubiose Landgeschäfte sorgen bei Christen für Unruhe

Was steckt hinter den Gerüchten über dubiose Landgeschäfte in Jerusalems armenischem Viertel? Der Bericht einer Kommission soll Licht ins Zwielicht bringen.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Pressekonferenz zu Ergebnissen einer Untersuchung zu Landgeschäften des Patriarchats im Hof des armenischen Patriarchats in Jerusalem. / © Andrea Krogmann (KNA)
Pressekonferenz zu Ergebnissen einer Untersuchung zu Landgeschäften des Patriarchats im Hof des armenischen Patriarchats in Jerusalem. / © Andrea Krogmann ( KNA )

Viele Gerüchte, wenig Fakten: Zweifelhafte Pachtgeschäfte des armenischen Patriarchats über tausende Quadratmeter Land in dem der Kirche gehörenden armenischen Viertel sorgen seit Wochen für Unruhe bei den rund 2.000 armenischen Christen in der Jerusalemer Altstadt.

Das jordanische Königshaus und die palästinensische Regierung teilen die Sorgen und setzten im Mai ihre Anerkennung des seit 2013 amtierenden Patriarchen Nurhan Manougian (74) aus, der jedoch seine Unschuld beteuert. Was ist dran an den Gerüchten? Eine ehrenamtliche Faktenfindungskommission hat jetzt ihre Schlussfolgerungen bekannt gemacht. 

184 Seiten lang ist der Bericht der fünf amerikanisch-armenischen Rechtsexperten, entstanden nach einem zehntägigen Besuch und 26 Treffen mit Vertretern Israels, Jordaniens und der Palästinenser. Sein Inhalt ist so brisant, dass sich die armenischen Gegner der Landdeals entschieden, ihn öffentlich zu verlesen. Schriftlich veröffentlicht werden soll er "aufgrund technischer Schwierigkeiten und anderer Empfindlichkeiten" zu einem späteren Zeitpunkt, so der armenische Aktivist Hagop Djernazian auf Facebook.

Eine aus fünf armenisch-amerikanischen Anwälten und Rechtsexperten bestehende Faktenfindungskommission stellt in Jerusalem bei einer Pressekonferenz im Hof des armenischen Patriarchats erste Ergebnisse einer Untersuchung zu Landgeschäften des Patriarchats vor. / © Andrea Krogmann (KNA)
Eine aus fünf armenisch-amerikanischen Anwälten und Rechtsexperten bestehende Faktenfindungskommission stellt in Jerusalem bei einer Pressekonferenz im Hof des armenischen Patriarchats erste Ergebnisse einer Untersuchung zu Landgeschäften des Patriarchats vor. / © Andrea Krogmann ( KNA )

Was die Anwesenden hörten, klang wie ein verworrener Thriller. In seinem Zentrum: Pläne für einen Luxushotelkomplex eines jüdischen Investors auf einer Fläche, die etwa 20 Prozent des armenischen Viertels ausmacht. Von geheim gehaltenen Verträgen mit zweifelhaften Bedingungen ist die Rede, von einem seines Amtes enthobenen Kleriker, von Pächtern mit mehreren Identitäten, neu gegründeten Tochterfirmen, rückdatierten Schriftstücken und nicht identifizierbaren Unterzeichnern. 

Die Fakten, die die Kommission zusammengetragen hat: Im März 2020 unterzeichneten das Patriarchat, die Stadt Jerusalem und die Jerusalemer Entwicklungsbehörde Harali einen Vertrag. Das als "Kuhgarten" bekannte Areal im Südwesten des Viertels sollte ab 1. Januar 2021 für die Dauer von zehn Jahren als Parkplatz genutzt werden, das Land in armenischer Hand verbleiben. Dieser Schritt ist bereits vollzogen. Harali übernahm den Angaben zufolge die Kosten von umgerechnet 1,6 Millionen Euro, um das Gelände von Unrat und Müll zu befreien und es für den neuen Zweck nutzbar zu machen. 

Doch das war offenbar noch nicht alles. Vor Ablauf kündbar wäre der Vertrag unter einer Bedingung: dass ein Entwicklungsplan für ein Hotel auf dem Gelände grünes Licht erhält. Eine Vereinbarung dazu gibt es wohl bereits. Sie wurde bis jetzt jedoch nicht öffentlich gemacht. Die Kommission bekam das Papier in die Hände, mit Ausnahme einer fehlenden Seite vier. 11.500 Quadratmeter armenisches Altstadtland sollen für 49 Jahre an eine Firma namens "Xana Gardens Ltd" gehen - die als einzige Vertragspartei entscheiden kann, ob der Vertrag auf insgesamt 98 Jahre ausgedehnt wird. 

Der Kommissionsbericht präzisiert: Der "Kuhgarten", Gegenstand des Parkplatzvertrags, umfasst eine Fläche von 7.500 Quadratmetern. Fügt man den Grund einiger benachbarter Häuser hinzu, kommt man auf 9.000, Garten und Parkplatz des Patriarchats bringen es auf weitere 2.000. Die fehlenden 500 Quadratmeter finden sich im Veranstaltungssaal des armenischen Seminars. Ausdrücklich sehe die Übereinkunft vor, dass benachbarte Liegenschaften der Pacht bei Bedarf hinzugefügt werden können. Ein Plan der Stadt Jerusalem spricht schon jetzt von 16.000 Quadratmetern für das Projekt. Ein Entwicklungsantrag wurde den Angaben zufolge bisher allerdings noch nicht gestellt.

Armenische Aktivisten bei einer Pressekonferenz zu Ergebnissen einer Untersuchung zu Landgeschäften des Patriarchats im Hof des armenischen Patriarchats in Jerusalem (Israel). / © Andrea Krogmann (KNA)
Armenische Aktivisten bei einer Pressekonferenz zu Ergebnissen einer Untersuchung zu Landgeschäften des Patriarchats im Hof des armenischen Patriarchats in Jerusalem (Israel). / © Andrea Krogmann ( KNA )

Sobald die entsprechenden Genehmigungen vorliegen oder aber ab dem 1. August 2029 soll das Patriarchat jährlich 272.000 Euro Pacht erhalten. Heikler ist der zweite finanzielle Aspekt des Vertrags: Macht das Hotel Gewinn, erhält das Patriarchat eine Beteiligung von fünf Prozent. Schreibt es jedoch rote Zahlen, werden fünf Prozent von der Pacht abgezogen. 

Neben erheblichen Verstößen gegen die Verfassung des Patriarchats wie eine fehlende erforderliche Zustimmung des Heiligen Synods und der Sankt-Jakobus-Bruderschaft hegt die Kommission Zweifel an der Rechtsgültigkeit der Übereinkunft. Diese sei ursprünglich am 7. Juli 2021 unterzeichnet und nachträglich handschriftlich auf den 8. Juli umdatiert worden. Der mutmaßliche Grund: Den Pächter Xana Gardens Ltd habe es am 7. Juli noch nicht gegeben. Erst am 8. Juli sei die Firma offiziell registriert worden. Ferner fehle die Unterschrift einer zu identifizierenden Person samt Position im Unternehmen. Xana Gardens Ltd ist lediglich mit einem Stempel auf dem Vertrag vertreten. 

Aus Sicht von Kritikern würde die Umsetzung der Pläne eine dauerhafte Veränderung der armenischen und christlichen Präsenz in Jerusalem bedeuten. Ultimatives Ziel der treibenden Kräfte hinter dem Pachtvertrag, so auch eine der Schlussfolgerungen der Faktenfinder, sei die Übernahme des Patriarchates selbst und die Schaffung einer direkten Verbindung von Westjerusalem zum jüdischen Altstadtviertel und der Klagemauer. Der Fall habe "schockierende Ähnlichkeiten" zu anderen skandalösen Landgeschäften mit Beteiligung von Kirchenführern. Es bedürfe dringend Reformen der kirchlichen Strukturen, um weitere Fälle zu verhindern.

2005 stolperte der damalige griechisch-orthodoxe Patriarch Irenaios über den Verkauf von drei Immobilien am Jaffa-Tor und wurde abgesetzt. Das Patriarchat kämpfte gegen den Verkauf, der ungenehmigt und durch Korruption zustande gekommen sei. 2019 beendete ein letztinstanzliches Urteil den Streit - gegen die Kirche. 

Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrung ist die Empfehlung der Kommission an die Armenier zu sehen, sich schnellstmöglich Rechtsbeistand zu suchen. Zwar stünden den Gegnern im Laufe des Genehmigungsverfahrens diverse Einspruchsmöglichkeiten bis hin zur Klage am Obersten Gericht offen. Nur haben diese laut Kommission in diesem Planungsstadium kaum Aussichten auf Erfolg. Um das armenische Viertel zu retten, gelte es, rasch zu handeln.

Armenische Kirche

Mit mehr als 1.700 Jahren Tradition als Staatsreligion ist Armenien die erste christliche Nation in der Geschichte. Im Jahr 301 ließ der armenische König Trdat III. sich und seine Untertanen taufen. Die armenisch-apostolische Kirche zählt wie die Kopten und Äthiopier, die syrische Kirche und die indischen Thomas-Christen zu den sogenannten altorientalischen Kirchen. Diese sind sowohl von Rom als auch von den orthodoxen Kirchen getrennt, weil sie die Lehre des Konzils von Chalcedon (451) von den zwei Naturen Christi nicht akzeptierten.

 Papst Franziskus (r) und Karekin II. Nersissian, Patriarch von Armenien / © Alberto Pizzoli (dpa)
Papst Franziskus (r) und Karekin II. Nersissian, Patriarch von Armenien / © Alberto Pizzoli ( dpa )
Quelle:
KNA